junge Welt

»Wohnungsbau mit dauerhaft leistbaren Mieten ist machbar«

Berlin: Vorbereitungskreis stellt internationale Praxisbeispiele öffentlic finanzierter Bauprogramme vor.
Ein Gespräch mit Philipp Möller

Oliver Rast


Mietenwahnsinn, Wohnraummangel, Immobilienspekulation. Die wohnungspolitische Misere hierzulande ist ein Dauerthema. Mit einer Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Vergessene Utopien des Wohnens – Internationale Praxisbeispiele" wollen Sie mit einem Vorbereitungskreis Projekte und Programme sozialen und öffentlichen Bauens vorstellen. Warum der Ausflug über die Landesgrenzen?

Das deutsche Modell des sozialen Wohnungsbaus in der Bundesrepublik ist ein Sonderfall. Es setzt auf die Förderung privater Investoren, die Sozialwohnungen erstellen, die nach einigen Jahren aus der Mietpreis- und Belegungsbindung fallen. Doch dieses Modell ist nicht nachhaltig. Trotz immer mehr Förderung, sinkt der Bestand an Sozialwohnungen kontinuierlich. Wir wollen mit unserer Veranstaltungsreihe Ansätze vorstellen, die deutlich machen: Ein Wohnungsbau mit dauerhaft leistbaren Mieten für alle ist machbar, wenn man die Voraussetzungen dafür schafft. Notwendig sind eine öffentliche Trägerschaft und eine steuerliche Finanzierung des Neubaus aber auch der politische Wille.

Wer sind die Initiatoren der Veranstaltungsreihe?

Initiatoren sind die Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW) aus dem Umfeld der Berliner MieterGemeinschaft und ein Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern aus Wissenschaft und Mietenbewegung, zu denen auch der Stadtsoziologe Andrej Holm gehört. Die INKW arbeitet seit 2014 an Konzepten zur Neuausrichtung des kommunalen Wohnungsbaus durch eine Umstrukturierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen in öffentlich-rechtliche Träger und deren steuerlichen Finanzierung. Unterstützt wird die Veranstaltungsreihe von Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Auftakt ist am Freitag mit der Vorstellung des „1-Millionen-Wohnungen-Programms" aus Schweden der 1970er Jahre. Ohne zu viel vorwegzunehmen: Was ist an diesem Programm beispielgebend?

Das schwedische Modell des Wohnens galt lange Zeit als Musterbeispiel für eine sozialdemokratische Wohnungspolitik und allein zwischen 1965 und 1975 wurde 1 Millionen Wohnungen von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften errichtet, die einen sozialen Versorgungsauftrag hatten und keine Gewinne machen durften. Das Wohnungsbauprogramm wurde durch staatliche Darlehen und Fördergelder unterstützt, um die Kosten möglichst gering zu halten. Eine Besonderheit des schwedischen Mietsystems ist, dass Mieterhöhungen damals in Verhandlungen zwischen den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und der Mietergewerkschaft ausgehandelt wurden – und dann auch für private Vermieter galten.

Welche weiteren Veranstaltungen und Länderbeispiele sind in der Reihe vorgesehen?

Im Juni stellen wir das jugoslawische Modell des Wohnungsbaus zwischen 1945 und 1990 vor das einen hohen Grad an Selbstverwaltung der Bewohner in den quasi vergesellschafteten Beständen auszeichnet. Zwei Wochen später schauen wir auf das Beispiel von Amsterdam, wo gemeinnützige Wohnungsbauvereinigungen in staatlichem Auftrag zwischen den 1920er und 1970er Jahren einen sozialen Wohnungsbau mit öffentlichem Geld und politisch festgesetzten Mieten betrieben. In den in den Niederlanden beträgt der Anteil der Sozialwohnungen noch heute knapp 30% - in Deutschland sind das nur 2,5%! Nach der Sommerpause geht es weiter mit Veranstaltungen zum Gemeindewohnungsbau im Roten Wien, dem Wohnungsbau in der DDR sowie dem Council Housing in Großbritannien.

Wie sehen Sie das: In der wohnungspolitischen Debatte geht es aktuell oft um serielles, modulares Bauen. Rasch hochgezogene, standardisierte Wohnsilos, kritisieren einige Beobachter. Eine berechtigte Kritik?

Serielles Bauen kann eine Stellschraube sein, um die Baukosten zu drücken, wenn man Wohnungsbau in Größenordnung betreibt. Nicht alle unsere Beispiele setzten auf die serielle Vorproduktion von Bauteilen. Hingegen eint alle eine öffentliche Finanzierung sowie der Aufbau von Trägerstrukturen, um größere Bauprogramme stemmen zu können.

Zurück zur Veranstaltungsreihe. Vorstellen, informieren anhand von Beispielen – schön und gut. Aber: Von wem soll hierzulande ein Schub für einen öffentlich finanzierten, sozialen Wohnungsbau, der vor allem dauerhaft leistbar ist, ausgehen?

Unsere Beispiele zeigen, dass die Umsetzung der Bauprogramme immer an starken linken Kräften hing, sei es das Council Housing durch eine linke Labourparty unter Neil Bevan oder der Gemeindebau durch die austromarxistische SDAP im Roten Wien. Heute fristet der Neubau in linken Parteien und der Mietenbewegung eher ein Schattendasein, das wollen wir ändern. Sozialer Wohnungsbau muss auch hierzulande neu gedacht werden. Das bedeutet, radikale Forderungen zu verknüpfen mit konkreten Vorschlägen, wie und wer einen neuen sozialen Wohnungsbau umsetzen kann. Wir laden alle Akteure der gesellschaftlichen Linken ein mit uns gemeinsam über Strategien zu diskutieren. Aktuell tut sich dafür ein Zeitfenster auf, denn der Neubau bricht dramatisch ein. Die Zeit ist überreif für öffentliche Bauprogramme, denn der Markt wird es nicht richten. Die Veranstaltungsreihe will dabei keine Rezepte präsentieren, die einfach übernommen werden können, sondern es geht im Sinne der Architektin Gabu Heindl, um ein kritisches Erben der vorgestellten Ansätze, um Möglichkeiten im Hier und Jetzt auszuloten. Wir wollen aufzeigen, dass es gehen kann und wie das ging und damit die vielen Mythen entblättern, die immer noch so gerne und beharrlich das Gegenteil behaupten.

Original-Artikel: junge Welt / 24.05.2023 / Inland / Seite 8

Berliner MieterGemeinschaft
Initiative für einen neuen kommunalen Wohnungsbau INKW

Berliner MieterGemeinschaft
Initiative for a New Municipal Housing Construction INKW


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